Geschichte

E la nave va… vielmehr seid Ihr das Floss

Text vom Fahrtenschreiber, Bilder von Samuel Bramley, Archiv Verein sisch im Fluss

Stapellauf

Seinen 20. Geburtstag hat das Floss ja schon hinter sich gebracht. «Es gehört dazu, zum Basler Sommer, es ist immer da», singen die Sirenen. Doch hinter den Kulissen der lieb gewonnenen Sommerfreude überstehen der Kapitän und seine Crew jeweils eine grosse Fahrt, ein Abenteuer. «Äusserste Kraft voraus», heisst dabei das alljährliche Maschinenkommando, sonst läuft die Chose nicht. Das Floss ist zudem geformt von seiner Geschichte, wie das Wasser die Steine am Fluss unten formt, im Grunde genommen ist es eines der wenigen echten kulturpolitischen Events der Schweiz.

In der Anfangsphase gab es in der Basler Zeitung Folgendes zu lesen: «Ein Floss wird kommen! Im Sommer ist nichts los in Basel. Bis vor drei Jahren war dieser Satz wahr, bis dahin dämmerte die Rheinstadt in der Hitze träge vor sich hin. Dann kam ein Mann und vertäute am Kleinbasler Rheinufer sein Kulturfloss. Er lud Musiker ein, darauf zu spielen, stellte eine Bar hin und das Publikum kam in Scharen, angezogen von der zauberhaften Atmosphäre am abendlichen Ufer. Man denke zurück an wunderschöne Konzerte wie jenes mit den unvergleichlichen Stiller Has, an das mediterrane Flair von Floss und Ufer, an das plötzliche Bewusstsein, dass der Rhein und der Blick auf die Münstersilhouette nun allen gehören.»

Kartenkurs

Doch was stand auf der Seekarte jenes Mannes, der das Floss am Fluss unten vertäute? Vor der Jahrtausendwende gehörte der Rhein im Bewusstsein der Bevölkerung eigentlich nicht zum Zentrum unserer Stadt, er wurde mehr als natürliche Grenze zwischen Gross- und Kleinbasel oder als dekoratives Element verstanden. Doch das Jahr 2000 brachte ein neues Phänomen mit sich. Immer mehr junge Menschen tummelten sich im öffentlichen Raum und brachten den Alkohol gleich selbst mit. Überall dort, wo sich derart homogene Schwärme versammeln, ziehen sich all jene zurück, die nicht dazugehören. Obendrein bringen solche Strukturen leider auch Phänomene wie Littering, Lärm, Drogenhandel und Kriminalität mit sich.

«Das kann nicht alles sein», sagte sich der Mann. «Es muss gelingen, jeden Abend ganz unterschiedliche Personengruppen mittels eines Lockrufs, also der Musik, am Fluss zu versammeln, wo sie auf ihresgleichen treffen. In einem Zeitraum, der die Gestaltung des weiteren Abends nicht belegt. Niederschwellig, ohne Zaun oder schwarzen Sichtschutz, ohne Eintrittskarten und von kurzer Dauer, zwischen 60 und 90 Minuten.» Die Bühne soll ein Floss sein, die Stufen am Ufer werden zur Tribüne – und weil der öffentliche Raum nicht kommerziell ist, soll alles bei freiem Eintritt stattfinden. So wurde der Kurs festgelegt und gefahren, so kam der Erfolg.

Himmelshaken

Bald schon belegte ein grösserer Publikumsaufmarsch diesen Erfolg. Das Musikprogramm entwickelte sich, der Rahmen wurde stetig professioneller, das Floss ging nicht nur am Rhein vor Anker, sondern auch in den Herzen vieler Menschen. Doch gab es auch Anwohnerinnen und Anwohner, die weniger entzückt waren. Sie schleppten das Floss bis nach Lausanne, vors Bundesgericht. Die Streitfrage war: «Darf man das, was der Mann da tut, im öffentlichen Raum?» Die Antwort aus Lausanne war dann ebenso simpel: «Ja, das muss man sogar dürfen, gerade im öffentlichen Raum.» Dem Floss wurde damit ein «gesteigertes öffentliches Interesse» attestiert, was die weitere Entwicklung des Rheinufers auch eindrücklich belegt, denn heute ist dieser Ort ohne Buvetten, Bars und Restaurants nicht mehr denkbar. 

Das Floss positioniert sich aus seiner ökonomischen Bilanz mit einem Gesamtbudget von rund einer halben Million Franken, wovon 120'000 Franken für das Programm eingesetzt werden, im unteren Segment der grossen Schweizer Festivals. Betrachtet man die Zuschauersituation, steht es mit seinen rund 60'000 Zuschauern an 16 Spieltagen hingegen eher an der Spitze.

Ein Vermarktungskonzept braucht es nicht, die Menschen wissen, wo der Rhein und ihr Floss sind. Sie wissen, dass sie nichts zu bezahlen brauchen, auch wenn Edoardo Bennato spielt. Wahrscheinlich ist ihnen auch bewusst, wer das Konzert bezahlt, nämlich die Swisslos-Fonds von Basel-Stadt und Basel-Landschaft und verschiedene Stiftungen und Sponsoren –  zum Beispiel eine Uhrenfirma aus Hölstein, die zwar relativ bescheiden auftritt, aber doch eine unübersehbare Präsenz hat. Am Rheinufer, an einem Ort, wo Werbung ansonsten verboten ist. Es ist also ein klares Image-Sponsoring, welches am schwierigsten via Kickback zu bemessen ist. Und dennoch, oder eben gerade deshalb, funktioniert es beim Floss. Gottseidank, denn neben den Beiträgen der öffentlichen Hand müssen jedes Jahr rund 350'000 Franken an Sponsoring-Geldern akquiriert werden.

Freigut

Abend für Abend ist zudem eine Truppe Matrosen mit Netzen im Einsatz, sie fischen im Publikum nach Geld für ’ne Buddel Rum. Etwas beizutragen, ist zwar freiwillig, aber dennoch wichtig, weil das Floss ja von Menschen gemacht wird und diese Menschen ein Gesicht haben und ein Bedürfnis formulieren. Deshalb geben die Leute gern. Dazu passt wiederum ein Zitat aus der Basler Zeitung, welches aus der Zeit der gerichtlichen Auseinandersetzungen stammt, diesen Aspekt aber besonders schön verdeutlicht: «Bye-Bye Floss! Hach, beinahe Schluss. Noch zwei Konzerte, und schon ist es wieder weg, das Floss. Zur Sicherheit lassen wir ein kleines Stossgebet gen Himmel und Entscheidungsträger fahren: liebes Floss, wir wünschen uns fest, dass du auch im nächsten Sommer an die hiesigen Gestade zurückkehrst. Um uns – wie in den vergangenen Wochen und Jahren – zu entzücken.»

Und das Floss ist zurückgekehrt, immer wieder, bereits über zwei Jahrzehnte lang. Wie viele Liebschaften haben sich an unseren Konzerten angebahnt? Wie viele Kinder sind nach einem Abend am Floss entstanden? Wie viele von ihnen sind nun über 20 Jahre alt und waren schon im Kinderwagen mit dabei? Wie viele von ihnen kommen heute noch, vielleicht mit ihren Eltern zusammen? Nebst dem Rheinwasser war und ist es das Publikum, das dieses Floss trägt, durch seine Präsenz hat es uns immer wieder den notwendigen Wind in die Segel geblasen. Liebe Leute, der Erfolg des Flosses ist Euer Erfolg, deshalb gehört das Floss nicht nur Euch – vielmehr seid Ihr das Floss, dieses Narrenschiff aus Nimmerland.

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